Lange Zeit war die Antwort auf die Frage „Wem gehört Smart?“ einfach und eindeutig: Smart war eine 100-prozentige Tochter der Daimler AG (heute Mercedes-Benz Group AG). Der kleine Zweisitzer „Fortwo“ war ein Symbol deutscher Ingenieurskunst und ein fester Bestandteil des Stuttgarter Konzernportfolios – wenn auch oft ein finanzielles Sorgenkind.
Doch wer sich heute einen neuen Smart #1 oder #3 ansieht, blickt nicht mehr auf ein reines Mercedes-Produkt. Die Marke hat in den letzten Jahren eine radikale Metamorphose durchlaufen, sowohl technologisch als auch eigentumsrechtlich. Smart ist heute ein Paradebeispiel für die neue Realität der globalen Autoindustrie: Ein deutsch-chinesisches Gemeinschaftsprojekt, das Design aus Europa mit der Batterie- und Plattformkompetenz aus Asien verschmilzt.
Das Wichtigste in Kürze
- Das 50/50-Modell: Die Marke Smart gehört heute zu gleichen Teilen (je 50 %) der Mercedes-Benz Group AG und der chinesischen Geely Holding Group.
- Klare Arbeitsteilung: Während Mercedes-Benz weiterhin für das Design und das Markenimage verantwortlich zeichnet, liefert Geely die technische Plattform (SEA) und übernimmt die komplette Produktion in China.
- Strategischer Neustart: Das Joint Venture wurde gegründet, um die Marke aus der Nische der unprofitablen Kleinstwagen zu holen und sie als rein elektrische Lifestyle-Marke im globalen Volumensegment zu etablieren.
Die historische Zäsur: Warum Daimler Partner brauchte
Um die aktuelle Eigentümerstruktur zu verstehen, muss man einen Blick in die Bilanz werfen. Seit der Einführung im Jahr 1998 war Smart zwar ein Liebling der großstädtischen Parkplatzsucher, aber betriebswirtschaftlich oft ein Verlustgeschäft für Daimler. Analysten schätzten, dass die Marke über zwei Jahrzehnte hinweg Milliardenverluste anhäufte. Kleinstwagen bieten nur minimale Margen, und die Entwicklungskosten für eine eigenständige Plattform waren im Verhältnis zum Ertrag zu hoch.
Als der Zwang zur Elektrifizierung hinzukam, stand Daimler vor einer Entscheidung: Die Marke einstellen oder radikal neu aufstellen. Man entschied sich für Letzteres und holte einen Partner an Bord, der bereits bewiesen hatte, wie man europäische Marken profitabel elektrifiziert: Li Shufu, den Gründer und Vorsitzenden der Zhejiang Geely Holding Group.
Die Struktur des Joint Ventures: „Smart Automobile Co., Ltd.“
Im Jahr 2019 gaben Daimler und Geely die Gründung eines globalen Joint Ventures bekannt. Anfang 2020 wurde die „Smart Automobile Co., Ltd.“ offiziell ins Leben gerufen.
- Das Kapital: Beide Konzerne brachten zu gleichen Teilen Kapital ein, das Gesamtinvestitionsvolumen wurde auf rund 5,4 Milliarden RMB (damals ca. 700 Millionen Euro) beziffert.
- Der Sitz: Ein entscheidendes Detail ist der Hauptsitz. Die globale Zentrale von Smart liegt nicht mehr in Böblingen oder Stuttgart, sondern in der Hangzhou Bay in Ningbo, China. Damit ist Smart rechtlich und operativ ein chinesisches Unternehmen mit deutschem Anteilseigner.
- Das Management: Der Verwaltungsrat ist paritätisch besetzt, mit Vertretern beider Konzerne. Die operative Führung (CEO) liegt jedoch bei Tong Xiangbei, einem Manager mit tiefer Erfahrung in der Automobilindustrie, was den Fokus auf den asiatischen Markt unterstreicht.
Wer macht was? Die Symbiose der Giganten
Das Joint Venture folgt einer strikten Kompetenzverteilung, die die Stärken beider Welten bündeln soll.
1. Mercedes-Benz (Der Style): Der deutsche Partner kümmert sich um das, was der Kunde sieht und fühlt. Das Design der neuen Fahrzeuge (Smart #1, Smart #3) stammt aus dem Mercedes-Benz Design Studio. Das Interieur, die Materialanmutung und die Markenidentität sollen weiterhin „Premium“ ausstrahlen und die DNA von Mercedes in sich tragen.
2. Geely (Die Technik und Fertigung): Der chinesische Partner liefert das Herzstück. Die neuen Smarts basieren auf der SEA-Plattform (Sustainable Experience Architecture) von Geely. Dies ist eine hochmoderne, reine Elektro-Plattform, die auch von anderen Geely-Marken wie Volvo, Polestar oder Zeekr genutzt wird. Zudem findet die gesamte Produktion in China statt (im Werk Xi’an).
Was bedeutet das für den Standort Europa?
Mit der Gründung des Joint Ventures endete eine Ära in Europa. Das legendäre Smart-Werk im französischen Hambach (Smartville), wo der Fortwo gebaut wurde, wurde von Mercedes-Benz an den Chemiekonzern Ineos verkauft (der dort nun den Geländewagen Grenadier baut).
Die „alten“ Smart-Modelle (Fortwo) sind mittlerweile ausgelaufen. Die neuen Modelle kommen per Schiff aus China. Für den Vertrieb und Service in Europa wurde die Smart Europe GmbH gegründet, eine 100-prozentige Tochter des Joint Ventures mit Sitz in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart. Sie kümmert sich um Marketing, Sales und After-Sales in den europäischen Märkten, ist aber „nur“ die Vertriebsorganisation, nicht der Hersteller.
Warum Geely? Ein Blick auf den Partner
Für Mercedes war Geely die logische Wahl. Der chinesische Konzern ist nicht nur der größte Einzelaktionär der Mercedes-Benz Group (Li Shufu hält privat fast 10 %), sondern hat sich als erfolgreicher „Sammler“ und Entwickler von Automarken etabliert.
Geely gehören unter anderem:
- Volvo Cars (komplett übernommen und erfolgreich saniert).
- Polestar (Joint Venture mit Volvo).
- Lotus (Mehrheitsbeteiligung).
- LEVC (die London Taxis).
Geely bringt die Skaleneffekte und die Geschwindigkeit in der Batterie- und Softwareentwicklung mit, die Mercedes für Smart im Alleingang zu teuer gewesen wären. Durch die Nutzung der Geely-Technik kann Smart Autos zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten und gleichzeitig (erstmals) Geld verdienen.
Fazit: Eine Marke im Wandel
Auf die Frage „Wem gehört Smart?“ lautet die Antwort 2025 also: Zur Hälfte Deutschland, zur Hälfte China.
Es ist ein Modellfall für die Zukunft der Automobilindustrie. Die emotionale Hülle bleibt europäisch, der technologische Kern wird asiatisch. Für den Kunden bedeutet dies: Er fährt ein Auto, das wie ein Mercedes designt ist, aber die Software- und Batterie-Power eines chinesischen Tech-Konzerns unter der Haube hat. Wirtschaftlich gesehen war dieser Schritt die Rettung der Marke, auch wenn er bedeutete, die europäischen Produktionswurzeln zu kappen.
